Sonntag, Dezember 04, 2005

Schlank, rank und völlig blank

- eine rappenlose Woche -

Auch schon einmal in der Migros gewesen und an der Kasse hat die EC-Karte nicht mehr funktioniert? - Ich schon. Das letzte Mal war am 21. November. Da war nichts mehr zu holen auf meiner Karte ausser 85 Rappen.

Zwar bin ich nicht pleite - nur hat meine EC-Karte eine 500-Fr-Monatslimite drauf, und die war weg. Hm. Natürlich kann ich die Limite jederzeit ändern, jetzt wo ich volljährig bin und so... und bei meiner eigenen Bank gilt die Grenze ja auch nicht.
Nur befindet sich die 3 Stunden entfernt im Thurgau. Liegt nicht wirklich am Weg.

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"Hetsch doch öppis gseit!" - Ich höre die besorgten Stimmen schon. Nein. Aber nicht aus Stolz habe ich geschwiegen, die Situation war einfach zu perfekt für ein kleines soziales Experiment. Wie lebt es sich wohl während 9 Tagen mit einem Budget von 14 Franken?
Ich war begeistert von der Aussicht, einiges über mich selbst zu lernen.

Die erste Beobachtung war sehr erstaunlich. Die Karte war montags zu Ende, freitags wurde mir bewusst, dass ich mir trotzdem jeden Tag etwas gekauft habe. Klar, nicht viel - dienstags Briefmarken für einen Brief nach Schweden, mittwochs Halswehtabletten für 5.15 (und sie wirken! Ich kann mir von der gleichen Packung noch 6x geschwollene Mandeln leisten...), donnerstags ein Brot, freitags ein paar Zwiebeln, Mandarinen, Karotten und eine Zuchetti. Trotzdem ging ich täglich in ein Einkaufszentrum!

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Weil die erste Phase bereits so beeindruckende Resultate brachte, verschärfte ich am Freitagabend die Bedingungen und gab sämtliches Kleingeld weg. Das war zwar nicht mehr viel... aber Leute, das Lebensgefühl verändert sich! - Ich sass am Bahnhof in Bussigny mit keinem Penny. Ich besitze ein GA, eine internationale Telefonkarte, ein warmes Zimmer und einen Schrank voller Esswaren. Es fehlt mir an nichts. Ich wusste, ich war sogar materiell bestimmt ausreichend versorgt. Aber ob einem die anderen das ansehen?
Ich war so fasziniert von dieser Idee, dass ich meine Frist um ein paar Tage verlängerte. Heute habe ich eine Woche lang ohne einen einzigen Rappen Bargeld gelebt. Und mehr über mich selbst gelernt als in vielen anderen Monaten.

Es ist lächerlich, welch ein Gefühl von Sicherheit uns schon nur ein 5-Frankenstück in der Jackentasche gibt.

Einen Einkaufsbummel mit Freunden in der City of Lausanne lässt sich ohne finanzielle Investition realisieren. (Nicht einmal auf das gemeinsame Kebab musste ich verzichten, weil eine meiner Freundinnen nach der Hälfte schon genug hatte.)

Wenn Gott sagt, er sorgt für uns, dann meint er es auch so. Ja, mein Überleben stand nicht auf dem Spiel (oder doch?), und trotzdem hat er mir seine Fürsorge bewiesen. Ende Woche sind die Frischvorräte langsam geschrumpft - da bekam ich per sms eine Einladung zum Abendessen (die Betreffende wusste nichts von meinen finanziellen Verhältnissen).

Ist es möglich, dass ich diese Woche sogar besser gegessen habe als normal? Habe ich nicht am Sonntag richtige Crêpes gemacht, einfach für mich? Habe ich nicht am Samstag ein Foccacia gebacken, um frisches Brot zu haben? Habe ich nicht am Dienstag ein wunderbares Nudelgericht kreirt mit den verschiedensten Resten?
- Dinge, die so oft schon der Zeitersparnis zum Opfer fielen.

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Dieser Bericht ist kein Aufsatz über die Armut. Ich gebe nicht vor, zu wissen, wie sich echte finanzielle Not anfühlt. Mein Bankkonto ist im grünen Bereich.
Es war auch nie das Ziel dieses Experimentes, die Welt besser zu verstehen. Aber für mein eigenes Leben habe ich vieles gelernt. Ich kann meinem Gott vertrauen. Das nächste Mal auch noch einen Schritt weiter.

1 Kommentar:

Felix Rabe hat gesagt…

Ge-ni-al! :o)

Etwas ähnliches habe ich hier versucht - Früchte statt Süssigkeiten als Snack. Hat nicht besonders lang (länger als ein paar Tage) gehalten, vor allem, weil meine Mitstudenten die Früchte für meinen kleinen Krankheitsschub verantwortlich machten ...

Und einmal bin ich nachts um eins von Romanshorn mit einem Fünfliber in der Tasche zu Fuss nach Degersheim gepilgert. Ich kam schliesslich um zwei Uhr nachmittags an. Zwei Dinge habe ich gelernt: genau in den letzten hundert Metern merkst du, wie höllisch die Füsse weh tun; eine Parkbank ist nicht der gemütlichste Ort, um ein paar Stunden darauf zu schlafen; und Degersheim liegt nicht gerade um die Ecke. (Ok, das letzte zählt nicht, weil ich das schon vorher wusste.) ;)

Danke für Deine inspirierende spontane Andersartigkeit (engl: random weirdness :o) ) - es inspiriert gewaltig!!!